Palm Reader – Sleepless

| 1. Januar 2021 | 0 Comments
Palm Reader

(c) Andy Ford

Vor einigen Alben wurden Palm Reader als britische Antwort auf The Dillinger Escape Plan gefeiert. Der wütende, ruppige Hardcore-Ansatz mit chaotischem Wahnsinn und Polyrhythmik im Abgang hielt sich allerdings nicht lange, und so regiert inzwischen Revolution durch Evolution. Mittlerweile hat der Core-Ansatz des Quintetts deutlich mehr Raum und Luft zum Atmen bekommen, wirkt größer, mächtiger und majestätischer, ohne dabei die unberechenbare und doch in gesicherte Bahnen gelenkte Aggression der Anfangstage verloren zu haben. „Sleepless“ erreicht neue Höhen.

„Hold/Release“ ruft als Opener alles ab und bringt eine gewisse Verzweiflung in den harmonischen Schönklang der eigenen Wahrnehmung an. Gelegentliche Shouts und Screams lockern das Geschehen auf, doch über weite Strecken gestaltet sich der Track melodisch, entspannt, ein klein wenig an Deftones erinnernd. Der schroffe, chaotische Wutausbruch nach der Drei-Minuten-Marke wirkt dafür gleich doppelt heftig. Davon hat „Stay Down“ noch mehr zu bieten und knüpft ein wenig an die Anfänge der Band an. Frontale, giftige Aggression, kompaktes Chaos und eine angedeutete Metalcore-Auflösung, die sich am Höhepunkt zurücknimmt, nur um erneut auszuflippen, begleiten diese Wahnsinnstat.

Der Hang zu Atmosphäre mit Shoegaze-Untertönen bekommt Palm Reader richtig gut, und „False Thirst“ treibt diesen Ansatz vorerst auf die Spitze. Bewegender, leicht nasaler Klargesang trifft auf balladesk angehauchte Strophen, leicht schmalzige Harmonien und einen wuchtigen, druckvollen Refrain, der sich von hinten anschleicht und doch fest in den Arm nimmt. Abermals setzt es in der zweiten Hälfte ein kleines, sympathisches Muskelspiel. Erinnerungen an Architects werden wach. Das leidenschaftlich zuckende und zugleich übereingängige „Willow“ lässt seinen Post-Hardcore-Ansatz wiederholt zwischen ruppigem Pendel und verhindertem Pop-Charme ausschlagen. Auch das klappt prima.

Die Schlaflosigkeit des Albumtitels, gerne als Rastlosigkeit umgedeutet, treibt spannende Blüten. „Sleepless“ bringt die Unberechenbarkeit früherer Tage mit, nun bloß mit allerlei anderen, deutlich melodischeren bis progressiveren Ausschlägen behaftet. Atmosphäre ist der Schlüssel zum Erfolg, und so erzeugen Palm Reader weit geöffnete Klangräume, die abwechselnd spärlich bis rasend gefüllt werden und mit dem Gefühlshaushalt Schlitten fahren. Selten konnte eine solche Schlittenfahrt derart unterhalten.

Wertung: 8/10

Erhältlich ab: 27.11.2020 // Physisch: 28.05.2021
Erhältlich über: Church Road Records

Website: www.wearepalmreader.com
Facebook: www.facebook.com/wearepalmreader

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Category: Magazin, Reviews

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