Hail The Sun – Divine Inner Tension
Schwere Zeiten erfordern schwere Musik. Hail The Sun-Frontmann Donovan Melero erlebte einerseits eine heftige Trennung und musste andererseits mitansehen, wie sich die Musikindustrie in (post-)pandemischen Zeiten nahezu verabschiedete. Zugleich setzte die Erkenntnis ein, dass Musik nicht unbedingt aus Verzweiflung und Schmerz entstehen muss. Für den Nachfolger von „New Age Filth“ ließ das Quintett lichtere Momente zu und drängte den ohnehin weltoffenen Post-Hardcore mehr denn je in unterschiedlichste musikalische Richtungen. Poppiger, proggiger und härter: „Divine Inner Tension“ rennt offene Türen mit wachsender Begeisterung ein.
Ein Dreierblock am Ende der ersten Albumhälfte zeigt recht gut, wohin die Reise nunmehr geht. „60-Minute Session Blocks“ gibt sich melodischer denn je, überrascht mit Radiofreundlichkeit, gibt sich aber keinesfalls weichgespült. Die lebhafte Gitarrenwand im Schlussakt packt sofort zu. Danach arbeitet das unbequeme „Maladapted“ auf die unvermeidbare Eskalation hin, gibt sich nervös und fahrig, bevor der Song nach gut zweieinhalb Minuten, eingeleitet durch Meleros spitze Schreie, langsam zusammenklappt. Zwar nimmt „The Story Writes Itself“ gerne mal derlei Härte mit, bricht dafür vertraute Strukturen auf und lässt ordentlich Prog Einzug halten. In Verbindung mit hymnischen Melodien erinnert das schon mal – im besten Sinne – an Coheed And Cambria.
Kein Song gleicht dem nächsten, das ist eine der großen Stärken dieser Platte. Das theatralische „Tithe“ scheint durchgehend hin- und hergerissen, von geifernder Aggressivität bis hin zum cineastischen Refrain. Hingegen explodiert „Tunnel Vision Alibi“ aus den Boxen und findet immer mehr zur Harmonie, von nervösen Gitarren begleitet, die in „Mind Rider“ die Tonleiter rauf- und runterhetzen, sich beinahe verschlucken und dabei Charme beweisen. Dass für das finale „Under The Floor“ Serienmörder John Wayne Gacy Pate stand und eine düstere Abfahrt antreibt, verquert das Geschehen gar angenehm.
Wie schon die Vorgänger muss man sich auch den neuesten Streich von Hail The Sun erst erarbeiten. Am grundlegenden Post-Hardcore-Konstrukt gibt es nach wie vor nichts zu rütteln, bloß kommen mehr und mehr andere Einflüsse hinzu. Derbste Nackenschläge, radiofreundliche Melodien, komplexe Prog- und Math-Momente stellen vor durchwegs angenehme Herausforderungen. „Divine Inner Tension“ ist der Inbegriff eines schweren, aber lohnenswerten Albums. Der rote Faden taucht verspätet auf und wickelt letztlich komplett ein – eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die Hail The Sun in mittlerweile gewohnt bestechender Form zeigt.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 11.08.2023
Erhältlich über: Rude Records / Equal Vision Records
Facebook: www.facebook.com/hailthesun
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