Toundra – Das Cabinet des Dr. Caligari

| 25. Februar 2020 | 0 Comments
Toundra

(c) Sergio Albert

Am 27. Februar 1920 feierte Robert Wienes Stummfilm „Das Cabinet des Dr. Caligari“ Premiere im Berliner Filmtheater Marmorhaus. Seither gilt der Horror-Streifen als Meilenstein des expressionistischen Films und läutete einen kurzzeitigen Boom des deutschen Kinos ein. Fast auf den Tag genau 100 Jahre später liefern die spanischen Instrumental-Meister Toundra nun einen Post-Rock-Soundtrack zu diesem Meisterwerk. Dieser weicht über weite Strecken stark vom bisherigen Schaffen des Quartetts ab und enthält dennoch durchaus vertraute Elemente.

Über den Film an sich wollen keine allzu großen Worte verloren werden, auch wenn Spoiler ein Jahrhundert nach seinem Erscheinen wohl kein sonderlicher Faktor sein dürften. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ wurde (und wird) als Abhandlung über Autoritarismus interpretiert, als Auseinandersetzung mit den Gefahren bestimmter Ideologien. So überrascht es wohl kaum, dass Wienes Meisterwerk 1933 vom NS-Regime verboten und zur entarteten Kunst erklärt wurde. Das macht dieses Herzstück des filmischen Expressionismus auch heute noch so wichtig und relevant.

Toundra orientierten sich eins zu eins an der Struktur des Klassikers und unterteilten die gut 72 Minuten folglich in sechs Akte. Wer die rauschenden Klanguniversen, geschickten Aufbauten und das filigrane Spiel mit der etatmäßigen Genre-Explosion kennt, dürfte allerdings ernüchtert sein. Obwohl dieses Album ohne Frage ein Post-Rock-Werk ist, distanzieren sich die Spanier von jeglichen Erwartungen und akzentuieren stattdessen das Geschehen auf der Leinwand, wie eben beim Stummfilm üblich. Das konstante Verharren in limbo, der stete Spannungsaufbau, das Spiel mit bedrohlichen Elementen (v.a. in „Akt III“ umgesetzt) und der geschickte Einsatz von Vor- und Rückgriffen (siehe und höre „Akt VI“) macht diese Platte aus kompositorischer Sicht zu einer spannenden Reise.

Und doch stellt sich Ernüchterung ein, denn der von Toundra vertraute Wumms fehlt einfach. Gelegentliches Aufflackern etwas lauterer Töne sowie das zum Schluss wuchtige, druckvolle „Akt IV“ machen zwar einiges her, die vertraute Post-Rock-Magie stellt sich allerdings nur selten ein. Entsprechend schwer fällt es, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ zu bewerten. Als weitere Platte im an sich hochspannenden Katalog der Spanier macht sich etwas Enttäuschung breit, die hohen Erwartungen lassen sich nicht erfüllen. Als Soundtrack für einen echten Kino-Klassiker ist diese etwas andere Arbeit allerdings mehr als spannend. Konzeptuell stark, gut ausgeklügelt, auf rein musikalischer Ebene allerdings eher brav – ein mutiges Album für Film-Historiker und Soundtrack-Fans.

Wertung: 7/10

Erhältlich ab: 28.02.2020
Erhältlich über: Inside Out Music (Sony Music)

Website: toundra.es
Facebook: www.facebook.com/toundra

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Category: Magazin, Reviews

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