Long Distance Calling – TRIPS
Als Long Distance Calling vor einigen Wochen den ersten Vorboten auf ihr neues Album veröffentlichten, waren nicht wenige vom Paradigmenwechsel überrascht. Post Rock? Mitnichten, denn Alternative mit einem Hauch Prog sorgte beim einen oder anderen Fan für lange Gesichter. Tatsächlich ist die neue Platte „TRIPS“ ein unberechenbares Biest geworden, mit dem sich das Quartett – Sänger Martin Fischer ist raus, übernahm aber Samples und Elektronik auf diesem Album – aus seiner Comfort Zone bewegt und ein neues Kapitel aufschlägt.
Besagtes erstes Kapitel, „Lines“, wurde gen Mitte dieses Albums platziert und macht da auch mehr Sinn. Mehr noch, zusätzliche Durchläufe tun diesem Song gut. Da wäre zunächst Petter Carlsen, der bereits auf „The Flood Inside“ zu hören war und den Gesang auf „TRIPS“ übernimmt. Ursprünglich ein Singer/Songwriter, passen seine Vocals eher zu Prog und Alternative. Genau das serviert dieser Song auch, vor allem in einem Energiebündel von Refrain mit herrlich unterschwelligen Muse-Synths, druckvollem Drumming und einem losgelösten Sänger. Abgesehen vom proggig-balladesken Mittelteil wirkt der Track überraschend konventionell, hat aber seinen Reiz.
Long Distance Calling sind weiterhin auch instrumental unterwegs. Der mit einem Video versehene Opener „Getaway“ erinnert an den Soundtrack für ein 80s-B-Movie und ist solide, doch die starken Momente ohne Gesang kommen erst gegen Ende. „Momentum“ ist ein dynamisches Biest mit mehreren kleinen Explosionen, die entfernt an die „Nighthawk“-Jams erinnern, aber auch Elemente von Tool und Collapse Under The Empire einbringen. Im über zwölf Minuten langen „Flux“ verliert sich das Quartett endgültig. So langsam der Track auch anrollt, mit jeder zusätzlichen Minute scheint er an Intensität zu gewinnen.
Carlsen macht seine Sache alles andere als schlecht, auch wenn von der Halb-Ballade „Rewind“ selbst nach mehreren Durchläufen nichts hängen bleibt. Sein Meisterstück ist „Plans“, dessen erster Hälfte er ruhige und doch brodelnde Intensität verleiht. Die Kollegen der Instrumental-Abteilung drehen in der zweiten Hälfte schließlich komplett ab. Metallische Gitarren, orientalische Motive und herrlich singende Gitarren sorgen für einen gewaltigen Aha-Moment.
„TRIPS“ rollt langsam an und entpuppt sich schließlich als klassischer Grower. Mehrere Durchläufe wollen gewagt werden, bis auch dieses Long Distance Calling-Werk seine volle Strahlkraft entfaltet. Und doch ist es eines der schwächeren im Backkatalog der frisch gehäuteten deutschen Nachbarn, was aber vor allem an der gewaltigen Fallhöhe angesichts gleich mehrerer Meisterwerke liegt. Dieser neue, verfeinerte Weg macht Sinn, verlangt aber ein gewisses Maß an Eingewöhnung. Letztlich bleiben nur wenige Schwächen, viele Überraschungen und so mancher neuer Favorit. Manchmal muss man zwei Schritte zurückgehen, um einen entscheidenden Schritt vorwärts zu kommen. „TRIPS“ ist der musikalische Beweis dafür.
Wertung: 8/10
Erhältlich ab: 29.04.2016
Erhältlich über: InsideOut Music (Sony Music)
Website: www.longdistancecalling.de
Facebook: www.facebook.com/longdistancecalling
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