Rush – Clockwork Angels
Über Rush muss man keine großen Worte mehr verlieren. Ihr selbstbetiteltes Debütalbum erschien vor beinahe vier Dekaden, sie haben weltweit über 40 Millionen Platten verkauft und sind laut RIAA die Rockband mit den drittmeisten Gold- bzw. Platinalben in Folge, nur von den Beatles und den Rolling Stones getoppt. Auch wenn sich die drei Kanadier problemlos auf ihrem Ruhm ausrasten könnten – mit Ende 50 wäre das sogar verständlich – wollen Geddy Lee, Alex Lifeson und Neil Peart es noch einmal wissen. „Clockwork Angels“, ihr mittlerweile 20. Studioalbum, toppt nicht nur die bereits durchwegs guten bis starken Platten der jüngeren Vergangenheit, es hat das Zeug zum Instant Classic im beachtlichen Repertoire der Prog-Legenden.
Inspiriert von Voltaire, John Barth und Cormac McCarthy, befasst sich „Clockwork Angels“ mit Steampunk und Alchemie, besucht verlorene Städte, phantasiert über Piraten, Anarchisten, einen exotischen Karneval und einen steifen Uhrmacher. Drummer Neil Peart hat sich bei den Texten einmal mehr ausgetobt – eine gemeinsam mit Science-Ficton-Autor Kevin J. Anderson geschriebene Romanfassung zum ersten Konzeptalbum der langen Bandgeschichte ist bereits in Planung. Freilich ist die Musik nicht zu kurz gekommen: „Caravan“ legt verspielt los, lässt gelegentliche Keyboard-Sphären durchschimmern und überzeugt mit einem mächtigen zweiteiligen Refrain. Auch „Headlong Flight“, die zweite Vorabsingle des Albums, fährt direkt durch Mark und Bein. Mit weit über sieben Minuten Spielzeit toben sich die Kanadier aus, halten den Track trotz Überlänge kompakt und nehmen sich viel Zeit für Samples und Instrumentalparts.
Überhaupt stimmt hier von vorne bis hinten fast alles. „The Wreckers“ ist eines der großen Highlights der Platte, orientiert sich ein wenig am Geist der 70er, wirkt erhaben und unheimlich melodisch, deutet mit seinem großen Refrain sogar so etwas wie Radiotauglichkeit an. Der Titeltrack „Clockwork Angels“ als mehrteiliger Bastard schwillt ebenso Sekunde für Sekunde stärker an, erinnert am ehesten an die großen, komplexen Rush-Prog-Meisterwerke. Wer jedoch hiernach sucht, wird auf dem 20. Studioalbum der Kanadier bitter enttäuscht sein, wenn auch unnötigerweise. „Halo Effect“ und „Bu2B“ peitschen ordentlich nach vorne, selbst das aufdringlich eingängige „Wish Them Well“, die einzige kleinere Schwachstelle auf „Clockwork Angels“, geht in Ordnung.
66 Minuten Prog-Raffinesse mit gelegentlichen Classic-Ausflügen und großen Melodien: Rush haben sich ein weiteres Mal selbst übertroffen. Co-produziert von Nick Raskulinecz, der auch schon am letzten Studioalbum „Snakes & Arrows“ beteiligt war, stimmt die Produktion, mächtig von der ersten bis zur letzten Sekunden, passend zur durchschlagenden Power, die die Kanadier auch nach vier Dekaden im Geschäft an den Tag legen. Natürlich ist der Sound basslastig, natürlich scheiden sich an Geddy Lees einzigartiger Stimme nach wie vor die Geister, natürlich muss man auf Breitwand-Prog mit Hymnencharakter stehen. Anders gesagt: Wer Rush mag, wird „Clockwork Angels“ lieben; ihr bestes Album seit zwei, wenn nicht sogar drei Dekaden.
Wertung: 9/10
Erhältlich ab: 08.06.2012
Erhätlich über: Roadrunner Records (Warner Music)
Website: www.rush.com
Facebook: www.facebook.com/rushtheband
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